"Hara, die Erdmitte des Menschen"
von Karlfried Graf Dürckheim (Seiten 55, 62 und 122)
"Je länger man sich mit Hara beschäftigt, so zeigt sich, dass mit dem Begriff Hara nicht nur ein spezifisches japanisches Phänomen umschrieben ist. Wir haben es mit einem zentralen Faktor allen menschlichen Lebens zu tun, dessen Erkenntnis und Übung also auch uns angeht.
Hara ist die Voraussetzung für die Entwicklung zu den höchsten Stufen des Menschseins.
Hara verkörpert den Inbegriff der ursprügnlichen Verbundenheit des Menschen mit den Kräften des in Ihm verkörperten größeren Lebens.
An sich meint Hara also ein Geschenk des Lebens, das dem menschen ohne sein Zutun zukommt. Aber weil im Zuge der Entwicklung des Ich-Bewußtseins die Verbundenheit mit den naturhaften Urkräften und ihrer Ordnung verloren zu gehen pflegt, wird Hara zur Aufgabe...
... Diese Verbundenheit mit den Kräften des ursrpünglichen Lebens bedeutet aber auch eine elementare Mächtigkeit, die in allen Situationen sich als eine besondere Tragkraft, Formkraft und Einigungskraft zeigt."
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"Überweltliches Leben in der Welt"
Karlfried Graf Dürckheim (Seiten 12, 13 und 176)
"Das Reifen des Menschen, ebenso wie seine wahre Freiheit und Mündigkeit hängen davon ab, dass er sein Wesen, d. h. die individuelle Manifestation des in seinem Weltleib anwesenden überweltlichen Lebens zulässt, in sein verantwortliches Bewusstsein aufnimmt und mit ihm bewusst eins wird.
So bedeutet gerade die Situation, in der der Mensch glaubt, sich eigenmächtig über sein Wesen hinwegsetzen zu können und ein Wirklichkeitsbewusstsein, das für Transzendenz keinen Platz hat, zur maßgebenden Instanz macht, den Gipfel menschlicher Unreife, Unfreiheit und Unmündigkeit. Notwendigerweise gerät er in ihr immer mehr in das Leiden, darin die Verdrängung seines Wesens sich kund tut.
In welcher Weise kann der Mensch mit den Leiden fertig werden, die im Gefolge seiner Funktionalisierung und Entpersönlichung auftreten? Grundsätzlich bestehen hier immer zwei Möglichkeiten: Die Situation im Widerspruch zu den Forderungen, die aus der Tiefe seines Wesens kommen, immer mehr an der Oberfläche seines Lebens zu harmonisieren. Oder aber, er wird, weil dies immer unmöglicher wird und er die Wurzel des Leidens erkennt, einen Weg suchen, der durch innere Verwandlung auch in dieser Welt eine wesensgemäße Entwicklung ermöglicht.
In der Regel wird der Mensch aber zunächst den Ausweg aus seinem Leiden durch "Verbesserungen" und Ausbau seiner alten Position suchen. Die Reibungslosigkeit des Lebens gibt sich heute mit einer solchen Selbstverständlichkeit als höchster Wert und erstrebenswertestes Ziel, dass von ihr her schlechtweg alles als gerechtfertigt erscheint, was ihrer Verwirklichung dient.
Bedenkenlos opfert der Mensch unserer Tage die Wahrheit seiner inneren Existenz dem zweifelhaften Glück eines reibungslosen Daseins auf. Gewiss ist es natürlich, jeden Schmerz beseitigen zu wollen. Wo immer aber Schmerz oder Leiden die Notwendigkeit einer inneren Verwandlung ankündigen, verstößt die Schmerzbekämpfung um jeden Preis gegen das innere Gesetz.
Im Hinblick hierauf aber gleicht ein großer Teil unserer so genannten Zivilisation in bedenklichem Ausmaß einem Riesenunternehmen zur Erfindung immer neuer Mittel, die die Menschen befähigen, schmerzfrei in ihren Fehlhaltungen zu bleiben."
"Reifen kann nur der Mensch, der ohne Unterlass vom Gewordenen lässt, sein haftendes Ich überwindet und, indem er auf sein Innerstes horcht, in steter Verwandlung eins wird mit einem tieferen Sein."
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